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Noch bevor der Zweite Weltkrieg in Europa zu Ende ging, bereitete sich ein leistungsstarkes neues zweimotoriges Jagdflugzeug darauf vor, bei der Luftwaffe in Dienst gestellt zu werden. Die einzigartige Konfiguration dieses Flugzeugs verlieh ihm eine phänomenale Leistung, die alle seine Zeitgenossen völlig in den Schatten stellte. Das Kampfflugzeug hatte das Potenzial, die massiven alliierten Bomberströme zu vernichten, die fast täglich auf das Deutsche Reich einschlugen, das nur vom Jet Messerschmitt Me 262 übertroffen wurde. Diese erstaunliche Maschine war die Dornier Do 335 mit Kolbenmotor, eines der revolutionärsten Flugzeuge des zweiten Weltkrieges. Die ungewöhnliche Anordnung des zweiten Motors im Flugzeugheck reduzierte den Lufwiderstand im Vergleich zu konventionellen zweimotorigen Mustern mit Flügelmotoren ganz erheblich und verhalf der Maschine zu Höchstleistungen. Der Erstflug fand am 26. Oktober 1943 in Mengen statt. Nur wenige Maschinen wurden gebaut.
Obwohl die Entwicklung schon im Oktober 1943 stattfand, kam das Muster kriegsbedingt jedoch nicht mehr zu einem Kampfeinsatz. Technisch innovativ, schwer bewaffnet und mit einer Leistung, die kein anderes kolbengetriebenes Flugzeug jemals erreicht oder übertroffen hat, besaß die Do 335 ein großes Potenzial als Kampfflugzeug, bekam aber nie die Chance, sich zu beweisen. Durch hochrangige Unentschlossenheit der deutschen Entscheider und alliierte Bombenangriffe verzögert, lief ihm einfach die Zeit davon.
Die Dornier Do 335 war eines der schnellsten jemals geflogenen Propellerflugzeuge. Ein Testpilot hatte nach eigenen Angaben eine Do 335 mit einer Geschwindigkeit von 846 km/h im Horizontalflug geflogen, als der offizielle Geschwindigkeitsweltrekord noch bei 755 km/h lag. Zwei flüssigkeitsgekühlte Motoren mit jeweils etwa 1.750 PS trieben die Do 335 an. Dornier montierte einen Motor in der Nase und den anderen im Heck in einer einzigartigen Push-Pull-Konfiguration mit geringem Luftwiderstand. Die Dornier Do 335 war ein mutiger Versuch, das Konzept des Mittellinienschubs in einer praktischen und effizienten Flugzeugzelle zu realisieren. Sein einzigartiges Layout bestand aus einem konventionellen Bugmotor und einer Traktorluftschraube (Zugpropeller) sowie einem zweiten gegenläufigen Motor im hinteren Rumpf, der einen Druckpropeller antreibt, der sich hinter dem Leitwerk befindet.
Dieses innovative Design verfügte auch über einen druckluftbetriebenenn Schleudersitz, eine Heckflosse, die der Pilot im Notfall abwerfen konnte, und ein Dreiradfahrwerk. Ferner eine Propellerschraube mit umkehrbarer Steigung, um die ziemlich lange Landebahn zu verkürzen, ein Flügelvorderkanten-Enteisungssystem, hydraulisch betätigte Klappen und einen Tunnelkühler für den Heckmotor. Für ein Kampfflugzeug war die Do 335 riesig: groß genug, dass eine normal große Person darunter laufen konnte, und mit 9.600 kg beladen sehr schwer. Eine 30mm MK 103-Kanone mit 70 Schuss, die durch die Propellernabe feuerte, und zwei 15mm MG 151/15-Kanonen (200 Schuss pro Kanone), die von der oberen Verkleidung des vorderen Motors feuerten, bewaffneten dieses Modell, das auch eine interne Bombenlast von 500 kg tragen konnte.
Ein weiterer Vorteil dieser Konfiguration war die im Vergleich zu anderen zweimotorigen Maschinen hohe Rollrate, da durch die Unterbringung der schweren Motoren nahe der Flugzeuglängsachse das Trägheitsmoment gering war. Außerdem führte der Ausfall eines Triebwerkes nicht zu einer asymmetrischen Schubverteilung. Besonderes Merkmal dieses Flugzeugs war auch der Schleudersitz. Bei dessen Betätigung wurden zur Sicherheit des Piloten der hintere Propeller sowie das obere Seitenleitwerk abgesprengt. Die lange Nase und die hochbeinige Konstruktion brachten diesem Flugzeug den offiziellen Beinamen „Pfeil“ ein.
Claudius Dornier patentierte 1937 das Push-Pull-Motorlayout, das innovativ war, weil es die Leistung von zwei Motoren hatte, aber weniger Luftwiderstand und größere Manövrierfähigkeit als andere zweimotorige Konfigurationen bot. Das RLM (= Reichsluftfahrtministerium) wollte die Entwicklung von Push-Pull-Flugzeugen unterstützen, aber zunächst wohl nur als Wasserflugzeuge und Bomber. Am 7. September 1943 überzeugte Messerschmitt Hitler jedoch, dass seine Me 262 als Hochgeschwindigkeitsbomber besser geeignet sei als die Arado Ar 234 oder Dornier Do 335, und die Me 262 erhielt die alleinige Priorität. Dies trotz der Tatsache, dass die Bombenlast der Do 335 doppelt so hoch war wie die der Me 262. Befürworter der beiden anderen Typen wurde beiseite geschoben.
Bis 1942 benötigte die Luftwaffe Mehrzweckjäger, und nachdem Dornier im Januar 1943 einen Vorschlag für einen Schnellbomber eingereicht hatte, baute Dornier einen Prototyp Do 335 V-1 (‚V‘ = Versuchs- oder Experimentalflugzeug). Deren Erstflug war im September 1943. Nach ersten Tests bestellte das RLM doch 14 Prototypen, zehn Vorproduktionsflugzeuge mit der Suffixbezeichnung A-0, elf einsitzige A-1 Produktionsflugzeuge und 3 zweisitzige A-10- und A-12-Trainer.
Dornier wählte zwei Daimler-Benz DB-603 V-12-Zylindermotoren aus, um die verschiedenen Versionen der Do 335 anzutreiben. Jeder Motor wog 910 kg. Im Gegensatz zu herkömmlichen zweimotorigen Flugzeugen mit Flügelmotoren würde die Do 335 bei Ausfall eines Triebwerks nicht scharf zur Seite gieren, und die einmotorige Fluggeschwindigkeit blieb mit etwa 620 km/h respektabel. Piloten berichteten über außergewöhnliche Flugleistungen in Beschleunigung und Wenderadius sowie über ein einfaches Handling ohne gefährliche Spin-Eigenschaften. Im Notfall könnte der Pilot jedoch Sprengbolzen zünden und den dreiblättrigen Schubpropeller und die Rückenflosse abwerfen, um die Chancen auf einen erfolgreichen Absprung mit dem pneumatischen Schleudersitz zu erhöhen. Beim Abfeuern drückte der Sitz den Piloten mit einer Kraft von etwa 20 G vom Flugzeug weg.
Die Maschine wies aber Anfang 1945 auch noch eine Reihe technischer Probleme auf. Der Heckmotor überhitzte oft und das Fahrwerk war schwach und störanfällig. Erwähnt wurden unter anderem eine ungünstige Konstruktion des Bugfahrwerks, eine neue noch unzuverlässige Hydraulik für die Landeklappenbetätigung, eine noch schlechte Regulierung der hinteren Motorenkühlung, schlechte Sichtverhältnisse, sowie das durch den neuen Schleudersitz aufwendige Schließen und Öffnen des Kabinendachs beim Einstieg und auch beim manuellen Notausstieg.
Dornier beendete den Bau von bis zu 48 Do 335-Flugzeugen und weitere neun befanden sich bei Kriegsende im Bau. Einer von vielen Plänen des RLM sah vor, dass Dornier bis Ende 1945 etwa 310 Do 335 bauen sollte. Obwohl Kampfeinheiten etwa 10 Monate vor Kriegsende mehrere Vorproduktionsflugzeuge erhielten, flog kein Pilot die Dornnier Do 335 im Kampfeinsatz. Nur wenige Exemplare der ersten Serienversion Do 335 A-1 lief kurz vor Kriegsende vom Dornier-Fließband in Friedrichshafen.
Das Nationale Air And Space Museum (NASM) zeigt im Steven F. Udvar-Hazy Center die zweite gebaute Do 335 A-0. Dornier bezeichnete diese Flugzeugzelle mit der Baunummer 102 und gab ihr den Flugzeugidentifikationscode VG + PH. Techniker stellten das Flugzeug am 30. September 1944 im Dornier-Werk in Mengen, Deutschland, fertig und flogen das Flugzeug dann im Winter 1944/45 probe. Vom 20. bis 23. April 1945 flog der deutsche Testpilot Hans Werner Lerche die Do 335 von Rechlin zurück nach Oberpfaffenhofen bei München, über Prag, Tschechoslowakei, und Lechfeld, Deutschland. Alliierte Streitkräfte fanden die Do 335 am 29. April in Oberpfaffenhofen.
Mitte Juni nach Kriegsende überführten Piloten zwei Do 335, darunter das NASM-Flugzeug Do 335 A-0 des deutschen Testpiloten Hans Padell, von Oberpfaffenhofen nach Cherbourg, Frankreich, um sie an Bord des britischen Flugzeugträgers HMS Reaper in die USA zu verschiffen. Nach Tests von 1945 bis 1948 übergab die US-Marine die Do 335 in 1961 an das Smithsonian National Air and Space Museum.
Version | Do 335 A-1 | Do 335 A-6 |
---|---|---|
Typ | einsitziger Jäger | zweisitziger Nachtjäger |
Antrieb | 2 x Daimler-Benz DB 603 | dito |
Art | V-Motore, hängend | dito |
. | flüssigkeitsgekühlt | dito |
Zylinder | 12 | dito |
Leistung beim Start | je 1.900 PS | dito |
Propeller | 2 x 3-Blatt | dito |
Abmessungen: | . | . |
Spannweite | 13,80 m | dito |
Länge 13,87 m | 13,85 m | dito |
Höhe | 4 m | dito |
Flügelfläche | 38,50 m² | dito |
Gewichte: | . | . |
Leergewicht | 7.400 kg | 7.700 kg |
Startgewicht | 11.700 kg | 11.700 kg |
. | . | . | ||
Flugleistungen: | . | . | ||
Höchstgeschwindigkeit | 765 km/h kurzfristig | ca. 700 km/h kurzfristig | ||
. | 665 km/h dauernd | ca. 600 km/h dauernd | ||
Steiggeschwindigkeit | 1400 m/min. | — | ||
Dienstgipfelhöhe | 11.410 m | 10.190 m | ||
Reichweite | 2.050 km | — | ||
mit Abwurftank | 3.750 km | — | ||
Bewaffnung: | . | . | ||
. | 1 x 30 mm MK 103 Kanone | dito | ||
. | durch die Propellernabe | . | ||
. | 2 x 15 mm MG 151/15 auf dem Bug | 2 x 20 mm MG 151/20 | ||
. | Unterflügelstationen für 2 x 250 kg Bomben | keine Bomben | ||
Alternativ | Abwurftanks mit je 300 Liter | . | ||
. | Rumpfstation für 1 x 500 kg Bombe | . | ||
Alternativ | zusätzlicher Treibstofftank | . |
Tragwerk:
freitragender Tiefdecker in Ganzmetallbauweise
mehrholmiger Flügel
Mittelstück am Rumpf angeflanscht
Enteisungsanlage in Flügelnase
hydraulisch betätigte Landeklappen zwischen Querruder und Rumpf
Sauerstoffflaschen und Kraftstofftanks in den Flügeln
Rumpf:
Ganzmetall-Schalenbauweise aus Stringern und 24 Spanten mit Ausschnitten für Bugrad
Bombenraum und Hecktriebwerk
Preßluftschleudersitz:
vor dem Katapultieren wurden Heckschraube und oberes Seitenleitwerk abgesprengt, bei Bauchlandung nur das untere.
Leitwerk:
freitragend und kreuzförmig
Ganzmetallbauweise (lediglich die Seitenflossennasen aus Holz)
sämtliche Ruder mit Masseausgleich und Trimmruder
Fahrwerk:
einziehbar mit Bugrad
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